Chronik des edlen en Ramon Muntaner/Vorrede

De Viquitexts
VORREDE.


Das Buch des Catalanen Ramon Muntaner gehört zu den seltensten und zugleich interessantesten Chroniken, die wir aus dem Mittelalter haben. In Deutschland, wo es mehrere Jahre vergeblich aufgesucht wurde, scheint auch in den bedeutendsten Bibliotheken kein Exemplar vorhanden zu sein; der italienische Übersetzer, Moisé, versichert, in allen Bibliotheken Italiens finde es sich nur drei- oder viermal; auch in Frankreich ist es sehr selten. Dasselbe hat überhaupt das Schicksal gehabt, dass ohngeachtet seiner Vortrefflichkeit seine Verbreitung auf besondere Hindernisse gestossen sein muss. Bereits zu Anfang des vierzehnten Jahrhunderts geschrieben ist es über zwei Jahrhunderte lang fast von keinem spanischen Geschichtschreiber gekannt oder wenigstens benutzt. Nach der Mitte des sechszehnten wurde es öfters[1] und ziemlich bald nach einander gedruckt, was für den Anklang, den es beim Volke fand, gewiss ein gültiges Zeugniss gibt. Und dennoch erfreute es sich bei den Geschichtschreibern der folgenden Zeiten und des Auslandes seitdem keiner besseren Beachtung bis zur neuesten Zeit. Selbst die Zahl der zu Ende des sechszehnten Jahrhunderts verbreiteten Exemplare scheint wieder verschwunden zu sein. Erst die französische Übersetzung in Buchon’s Sammlung machte es neuerdings wieder zugänglich. Doch musste erst neulich Gervinus[2] auf seine Bedeutung aufmerksam machen, um ihm zu verdienter Anerkennung zu verhelfen. Die Aufnahme, welche die deutsche und die jüngst erschienene italienische Übersetzung fanden, sprechen dafür, dass dieselbe nicht ausblieb.

Diese lange Hintansetzung eines als Geschichtsquelle und Volksbuch so schätzbaren Werkes ist allerdings auffallend, lässt sich aber hinreichend aus zwei Gründen erklären. Fürs Erste hat die, wenn auch vorsichtige und nicht gerade directe Tendenz gegen die seinen Helden feindlichen Päpste und Pfaffen sicherlich ihm die letzteren nicht zu Freunden gemacht; und es ist gar nicht unwahrscheinlich, dass das Verschwinden der zu Ende des sechszehnten Jahrhunderts vorhandenen Exemplare nicht ohne absichtliche Einwirkung der Geistlichkeit geschah. Auswärts aber ist ohne Zweifel die Unbekanntschaft mit dem Idiom und die Vernachlässigung der einst blühenden catalanischen Literatur[3] einer Verbreitung des Buches hinderlich gewesen. Die catalanische Sprache ist zwar unter der Herrschaft der castilischen nicht so herabgekommen, wie die flämische unter dem Druck der französischen. Noch lebt sie im Munde des besten Theils des Volks und in Volksliedern, deren, wie mir ein kundiger Catalane versicherte, ein reicher Schatz ungedruckter und ungeschriebener vorhanden ist. Was aber für die Literatur derselben überhaupt noch zu thun ist, zeigt das eben citirte verdienstvolle Werk Amat’s. Und im Auslande zumal sind catalanische Werke und die Hülfsmittel zur Kenntniss der Sprache sehr selten geworden. Um so mehr wird wohl den Sprachforschern der Wiederabdruck dieses Buches erwünscht sein.

Über des Autors Leben ist sein Buch die einzige Quelle. Er war geboren im Jahr 1265 zu Peralada, einem Flecken in der Grafschaft Ampuries. Über seine Jugend erfahren wir soviel wie nichts, weil er erst dann von sich selbst erzählt, als er mithandelnd in einer schon bedeutenderen Stellung auftritt. Im zwanzigsten Jahre, als bei Gelegenheit des französischen Einfalls in Catalonien sein Heimathsort in Flammen aufgieng, und er all seine Habe verlor, verliess er den heimischen Boden auf immer. Seitdem lebte er dreissig Jahre unstät in beständiger Kriegsübung und mannigfachem Wechsel des Schicksals, bis er erst nach dem fünfzigsten zu Valencia sich niederliess, um als ruhiger Bürger von den Stürmen eines vielbewegten Lebens auszuruhen. In dieser Schule gewann er denn auch die durchaus practische Bildung, die reiche Erfahrung, Klugheit und Besonnenheit, die Reife und Gediegenheit eines geprüften, in Gefahren erstarkten Characters, wovon uns sein Buch das sprechendste Zeugniss gibt. Vom Jahr 1300 an begleiten wir ihn als Genossen des kühnen Abentheurers Roger de Flor erst auf Sicilien, hernach beim Zuge nach Romanien, stets in einer bedeutenden Stellung. Nach dem Tode Roger’s blieb er noch fünf Jahre bei der Truppe, bestand mit seinem Häuflein die grösten Gefahren, die kühnsten Abentheuer. Als endlich der Infant Ferrando von Majorca kommt, an die Spitze der Compagnie zu treten, aber unzufrieden zurückgeht, schliesst er sich an ihn an, geräth auf der Heimreise bei Negropont nebst dem Infanten in Gefangenschaft treuloser Venetianer und verliert all seine Habe. Als er nach Sicilien zurückkam, um von da nach Valencia zu gehen, trug ihm der König Friedrich von Sicilien die Eroberung der Insel Zerbi an der afrikanischen Küste auf, und gab sie ihm als Gouverneur zu Lehen. Fünf Jahre versah er diese Stelle, dann trat er in Dienst des Infanten von Majorca, der einen Zug nach Morea vorhatte. Wie er dessen neugebornen Prinzen nach dem Tode seiner Mutter nach Perpignan brachte, und Truppen für seinen Herren warb, starb dieser, und Ramon blieb von nun an zu Valencia, um den Rest seines Lebens im Schoose seiner Familie zu leben. An dem Zuge des Königs Jacob II. gegen Sardinien nahm er persönlich zwar keinen Antheil; doch fühlte er sich gedrungen, in dem Sermon (Cap. 271.) seine Kriegserfahrungen demselben mitzutheilen. Im sechzigsten Jahre (1325) begann er sein Werk zu schreiben, das mit der Krönung König Alphons IV. von Arago schliesst, welcher er als Abgeordneter der Stadt Valencia beiwohnte.

Dieses Buch ist über die Begebenheiten, die es vorzugsweise behandelt, eine sehr schätzbare Quelle.[4] Sein Gegenstand ist die Verherrlichung der Thaten des ritterlichen und klugen Königs Peter III. und seiner nächsten Nachkommen, die Eroberung von Sicilien nach der sicilianischen Vesper, und der daran sich knüpfende Kampf gegen die vereinte Macht des Hauses Anjou, Frankreichs und der Päpste. Daran reiht sich als Episode die treffliche Beschreibung des schon gedachten Zuges nach Romanien, die unmittelbarste und ächteste Quelle über diese Begebenheit. Seine Glaubwürdigkeit ist nicht in anderem Sinne zu nehmen, wie die aller Chronisten des Mittelalters: der offen ausgesprochene Partheizweck durchzieht als Grundgedanke das ganze Buch; aber die Ansicht ist eine durchaus ehrliche, es ist die Überzeugung eines für seine Helden begeisterten Gemüthes, mit redlicher Anerkennung der Tüchtigkeit des Gegners, mit edler Entrüstung über Tücke, Treulosigkeit und Feigheit. Der Geschichtsforscher wird dann doch durch Vergleichung die Wahrheit zu finden wissen. Aber eben um diese zu finden, ist uns die Darstellung unsers Autors um so schätzbarer, hier die aragonisch-ghibellinische Ansicht der anjou-guelfischen gegenüber, dort neben den zweifelhaften Berichten der Byzantiner die treuherzige Erzählung des ehrlichen Genossen der siegreichen rachedurstigen Freibeuterschaar. Der Grundgedanke, welcher das ganze Buch durchdringt, ist der offen kund gegebene Zweck, die Grösse und Macht des aragonischen Volkes und die Trefflichkeit seiner Fürsten gegenüber der Macht des Papstes und seiner Verbündeten, „welches die Macht der ganzen Christenheit ist,“ hervorzuheben; zu zeigen, wie ohngeachtet ihrer Opposition seine Fürsten gute Christen und Katholiken sind, und auch ohne den Papst den Kampf gegen die Ungläubigen mit Glück führen; wie sichtbar der Segen Gottes auf all ihren Thaten ruht, und wie wohl daher der heilige Vater thun würde, wenn er sich recht enge mit dem Hause Arago verbände. Dieses Thema, welches ihn in Conflict selbst mit der eigenen Frömmigkeit zu bringen scheint, führt er mit grosser Geschicklichkeit durch. Er glaubt an die Wunderhistörchen der Pfaffen und unterwirft sich dem Spruche der Kirche: „Man sagt, dass niemals vom heiligen Stuhl zu Rom ein Spruch erging, der nicht gerecht gewesen: und so müssen wirs auch glauben; denn die Priester, die Verwalter der heiligen Kirche, sagen: Sententia Pastoris justa vel injusta tenenda est. Alle getreue Christen müssen das glauben, und so glaube ich’s auch.“ Daneben aber verfolgt er den päpstlichen Legaten, welcher den Kreuzzug gegen seinen gefeierten Helden begleitet und gläubigen Streitern das Paradies verspricht, mit bitterem Hohne, und weiss meisterhaft das Gottesgericht darzustellen, welches den Kreuzzug zu Schanden werden lässt. Wenn er über die bedeutenden Vorgänge der innern Geschichte Aragoniens, über die Entwickelung der Verfassung in jener Epoche gänzlich schweigt, so mag diess wohl mit darin seinen Grund haben, dass ihm die daran geknüpften Reibungen missfällig sind; aber es lag auch ihre Darstellung ganz ausserhalb des Zweckes, der so entschieden sein ganzes Buch beherrscht. Er konnte davon schweigen, ohne damit der Wahrheit zu nahe zu treten; ja er konnte mit voller Wahrheit sagen, was er Cap. 20. über das gute Verhältniss zwischen den aragonischen Königen und ihren Vasallen und dem Volke so Rühmliches ausspricht.

Die Ausgabe, wornach dieser Abdruck veranstaltet wurde, ist vom Jahr 1558. Valencia,[5] meines Wissens die älteste, die es gibt. Zur Vergleichung stand zu Gebote die nächstfolgende, Barcelona 1562, welche sich auf der königl. Bibliothek zu Paris findet. Es ergab sich mir bald, dass die letztere ein Abdruck der ersteren ist, doch in der Weise, wie auch die Copien von Manuscripten in jener Epoche behandelt werden, dass man sich nämlich für den Sinn unerhebliche Änderungen in der Schreibung und den Formen erlaubt. Dergleichen kleine Abweichungen, die meistens mundartlich sind, und nur die verwandten Buchstaben und hin und wieder einzelne Endungen betreffen, habe ich zu Anfang als Varianten hie und da beigefügt. Hernach unterliess ich es, theils weil solche Schwankungen der Schreibung selbst innerhalb dieser Ausgabe sich zeigen, theils und besonders weil, nachdem mir einmal die wesentliche Übereinstimmung beider Ausgaben constatirt war, eine durchgehende Vergleichung nicht weiter sich zu verlohnen schien. Ich verglich dann noch alle irgend bedenklichen Stellen, die ich bereits bei Gelegenheit der Übersetzung bezeichnet hatte, und fand auch da, wo ich offenbare Fehler corrigiren musste, eine constante Übereinstimmung beider Ausgaben. Solche Stellen, wo ich mir auch ohne weiteren Nachweis eine Änderung erlauben konnte und musste, sind indessen nur wenige; und wo der Fehler nicht ganz evident war, liess ich natürlich die Stelle unangetastet, auch wenn ich begründeten Zweifel hatte. Hin und wieder finden sich, und zwar übereinstimmend in beiden Ausgaben, Varianten, auch wohl kleine Noten am Rande, welche ich wieder gab.

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  1. Es ist ein Irrthum, wenn Moisé glaubt, die Ausgaben von 1558 und 1562 seien die einzigen.
  2. Im ersten Bande seiner historischen Schriften.
  3. Ich ergreife diese Gelegenheit, um auf eine vortreffliche Sammlung gröstentheils noch ungedruckter catalanischer Gedichte (Cançoner) aufmerksam zu machen, welche sich auf der königl. Bibliothek zu Paris findet und deren Publication sehr zu wünschen wäre. Der schöne Codex ist gründlich gewürdigt von F. T. Amat in dem Werke: memorias por ayudar a formar un diccionario critico de los escritores catalanes. Barcel. 1836., welches zahlreiche Proben daraus mittheilt.
  4. Eine literarhistorische Würdigung unsers Autors gab Gervinus in der Jen. A. L. Z. 1842 Nr. 63–65.
  5. Der vollständige Titel lautet: CHRONICA, O DES|scripcio dels fets, e hazanyes del | INCLYT REY DON IAVME PRIMER | Rey Darago, de Mallorques, e de Valencia: Compte de Barcelona, | e de Muntpesller: e de molts de sos descendens. Feta per lo ma-|gnifich en Ramon Muntaner, lo qual serui axi al dit Inclyt | Rey don Iaume, com a sos fills, e descendents: es troba | present a les coses contengudes en la present historia. Es libre molt antich, e ab tota veritat scrit, e digne desser vist per aquells | qui ab tota veritat desijen saber los fets de la corona Darago, |
  6. e del regne de Sicilia. Ara nouament stampat. (Dazwischen das Wappen, das in verkleinertem Maass[t]abe dem vorliegenden Abdrucke beigegeben ist.) En Valencia, EN CASA DE LA VIVDA DE IOAN MEY FLANDRO. 1558. Folio. 255 Blätter und 16 Blätter mit Titel, Widmung und Inhaltsverzeichnis.
    Giessen, am Ludwigstage 1844.
    K. L.